Sabah Zouein

Szenen einer Zweierbeziehung in fünfundsiebzig Bildern.  Der innere Monolog eines Ich im Spiegel.  Eines Ich ohne Beschreibung, ohne Geschichte, ohne Namen.  Vermutlich weiblichen Geschlechts, denn das Gegenüber ist der Grammatik nach eindeutig männlich und hei bt “Er” oder “der Andere”.  Die Handlung ist minimal.  Das Ich reist mit dem Zug in die Stadt, steht zögernd auf der Schwelle des schiefen Hauses und tritt schlie blich ein, in das Haus des “Anderen”.  Vier wei be Wände starren es an, Wände, die zu einem massiven Block zu verschmelzen scheinen, welcher das Ich zu erdrücken droht.  Selbst das Fenster schenkt keinen befreienden Ausblick, der das Ich quält und bedrängt.  Sprache versagt.  Gefühle an ihren Grenzen liegen bar.  Doch das Ich ist nicht nur Opfer sondern auch Henker, fügt dem “Anderen” Schmerz zu durch seine Verweigerung, durch seinen Widerwillen.  Ein tödliches Machtspiel, von dem keiner lassen kann, weil jeder dem anderen einziger Beweis seiner Existenz ist.  Sabah al-Kharrat Zueyn bricht wagemutig sämtliche Regeln arabischer Syntax, wenn es ihr darum geht, Ohnmacht der Worte und innerer Gebrochenheit Ausdruck zu geben.  Ein faszinierendes dichterisches Experiment.

Erschienen bei Dar Amwaj, Beirut 1995

127 Seiten.

Bild Nr. 66

Ich habe die Form der Sprache verloren, ihren habe ich verloren und bin in den Tod der Worte gestürzt, Worte, die ich nicht auszusprechen vermag, und würde ich es tun, ich würde zugrunde gehen, ohnehin ginge ich zugrunde, die Stimme stockt mir im Herzen, ihr Klang bleibt in mir, und ich rufe mir jenes Fenster ins Gedächtnis, das immer verschlossene, es hat mich sterben sehen im Innern, sein Glas hat meinen bleichen Schatten gespiegelt und mein eingefallenes Gesicht, es hat gesehen, wie ich mich gewunden, mich vor Schmerzen gekrümmt habe, meine Worte sind verglüht, nur noch ein paar Spuren an den Wänden, Brandmale von Wahnsinn in den Zimmerecken und dieses tödliche Schweigen...

 Uebersetzt von Nadja Odeh

Bild Nr. 2

  1. Das Bild, das mich interessierte, das Bild des dunklen Gesichts, war auf der Wand zwischen anderen Bildern, auf der Wand zwischen den Bildern der Freunde, auf meiner linken Seite, wo ich auf einem Stuhl sass, dessen Farbe mir in Vergessenheit geraten ist, das Bild auf der Wand, die neben dem Holztisch ist, den ich gerade gesehen hatte, zum ersten oder zweiten Mal in meinem Leben, neben der langen Wand wo das dunkle Bild war, das noch weinte das uns in der Härte des Augenblicks verreisen hatte, auf den Tisch warf ich einen ersten Blick, neben dem Tisch die Wand und das sehr grosse Fenster, ich schwieg und geriet in ein Delirium, und ich wusste nicht, was ich in dem Augenblick sagen sollte, wusste nicht, warum ich gekommen war, wusste nicht, warum ich das getan, was ich getan hatte, warum ich da war und warum ich meine Orientierung verloren hatte, warum ich mich einschloss statt wegzugehen, warum ich schwieg und da sass und die Schmerzen in meinem inneren spürte.

Bild Nr. 19

  1. Als ich zum ersten Mal das Haus betrat, war die Zeit zerschmettert und als ich zum ersten Mal einen Platz in der Küche einnahm, war mein Gesicht zerschmettert, meine Farbe bleich, und die Küche hatte den gewohnten tiefen Geruch, der ein Teil des Hauses geworden war, aus der Sehnsucht nach einem Ort, und da überfiel mich die Angst, die Angst des Zusammenkommens und Anfangens.  Ich sass vor dem ersten Blick, und das war mein erster Blick, ich traute mich nicht zu bewegen, ich schlob die Arme zu, begann den Wänden näher zu kommen, wo bekannte Bilder vergrössert aufgehängt waren, und ich näherte mich dem Fenster, das mich von auben trennte, da war der Frühlingstau mit dem Tagesabgang, und da war der Andere mit seinen gewohnten Bewegungen, gab mir ein wenig Alkohol in mein Glas, und ich merkte das wenige Geschirr, das in dem Ecken der Küche verteilt war, eine Vase beim Fensterende, und das Gefühl des tiefen Schweigens, und auch das Gefühl der Leichtfüssigkeit des Kommens, ich wünschte mir im Tod das Wegrennen, ich suchte ein nahen Grab in das ich mein getötete Selbst wegmerten könnte, und die Abenddankunft war dem Fenster und den Wänden so nahe, dab mir der Abend die Langweiligkeit des Zusammentreffens kundtat, dem erwachten Blick, die todliche Fantasie, die Lüge des Ortes, die Leichtfertigkeit der Verbindung zwischen dem Wort und dessen Ort, ich hatte grobe Angst, und es war das erste mal, das Gesicht zum ersten Mal, dieses Gesicht in seiner Abweichung, in seinen langwierigen Vertetzungen.

Dieses Gesicht tropfte seine Schmerzen auf meine zerschmetterten Zeiten.

Bild Nr. 66

Ich habe die Form der Sprache verloren, ihren Sinn habe ich verloren und bin in den Tod der Worte gestürzt, die ich nicht auszusprechen vermag, und würde ich es tun, ich würde zugrunde gehen, ohnehin ginge ich zugrunde, die Stimme stockt mir im Herzen, ihr Klang bleibt in mir, und ich rufe mir jenes Fenster ins Gedächtnis, das immer verschlossene, es hat mich sterben sehen im innern, sein Glas hat meinen bleichen Schatten gespiegelt und mein eingefallenes Gesicht es hat gesehen, wie ich mich gewunden, mich vor Schmerzen gekrümmt habe, meine Worte sind verglüht, nur noch ein paar Spuren an den Wänden.  Brandmale von Wahnsinn den Zimmerecken und dieses tödliche Schweigen.

Übersetzt von Marwan Abado

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Wie die Entfernungen ausgelöscht werden

Ich kann das Wort nicht mehr bündeln, und die Poesie ist wie blaue Stricke geworden.  Ich versuche immer wieder, die Richtung zu ändern, doch das Schreiben weigert sich stets.

  • Ich sehe nur, dab in den Fenstern das Licht erloschen ist, und ich sehe nur, dab sich hinter ihnen Buchstaben bewegen.
  • Oder als löschte dies Gefühl nichts aus und als hüllte mich heute ein sehr neidriger Himmel ein.
  • Was werden wir mit unsern Händen sammeln, was werden wir sammeln, um ein wenig lebendig zu bleiben.
  • Wie die nächste Äuberung gehören meine kleinen Dinge nur mir.
  • Was habe ich bis jetzt gesagt, um mein Fortgehen zu fühlen?  Um blasse Symbole und Farben in der Luft zu fühlen?
  • Wieviel Zeit bleibt mir, um einige meiner Wörter wieder einzusammeln, um zu einem kleinen Etwas im Herzen der Dinge zu werden?
  • Die Schlaflosigkeit ist weib geworden, und jeden Tag um die gleiche Zeit werde ich etwas von mir an Orte werfen, die ich noch nicht besitze.
  • In diese oder jene Richtung, und wohin stell’ ich mich selbst, wenn die Ecken und Winkel abhanden kommen?
  • Vom Geschriebenen werden nur ein paar Stimmen übrigbleiben.  Ich bin auberhalb der Symbole, und mir bleiben nur trockene Buchstaben, es sind meine letzten.

Bild 2

Das Bild, das meine Aufmerksamkeit erregte, das Bild eines dunkelbraunen Gesichts, hing an der Wand zwischen anderen Bildern, an der Wand zwischen Bildern von Feunden, links von mir, wo ich in jenem Sessel sab, an dessen Farbe ich mich nicht mehr erinnere, das Bild an der Wand, die ich zum ersten und zweiten Mal in meinem Leben sah, der Tisch, der an jene lange Wand gerückt ist, auf der das Bild der Brünetten, die noch weinte und fortging, die Härte der Situation ausdrückte, ich sah zu dem Tisch hinüber, es war das erste Mal, und an ihn grenzend die Wand und ein sehr grobes Fenster, da schwieg ich, Halluzinationen suchten mich heim, und ich wubte nicht mehr, warum ich tat, was ich tat, und warum ich hier war und warum ich den Verstand verlor und warum ich mich abschlob, statt abzureisen, und warum ich nichts sagte, mich hinsetzte und sitzen blieb und tief in mir der Schmerz war.

Übersetzt von Khaled Al Maali

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Sabah Zouein, eine libanesische Dichterin.
Sie hat 8 lyrische Bücher veröfentlicht.  Ihre ersten 4 Bücher hat sie zwischen 1983 und 1987 auf Französisch geschrieben, später 1997 hat  sie selbst ins Arabische übersetzt.  Die 4 anderen Bücher sind ursprünglich auf Arabisch gesderieben worden.
Zwischen 1986 und 2004 hat sie bei AN-Nahar (die gröbte Zeitung Libanons) als Journalisten, Literatur – und Kinokritikerin, sowie Übersetzerin gearbeitet.
Sabah Zouein hat in mehreren arabischen und westlichen Zeitschsiften geschrieben.
Sie ist durch die Welt viel gereist und Kann 6 sprachen: Deutsch, Franzoesich, Spanisch, English, Arabish, Italienish.
Über ihr Schreiben hat die kritik geschrieben “Sabah Zouein bricht wagemutig sämtliche Regeln arabischer Syntax”.