Wadi Sa‘adeh

Günther Orth

Soll ich das Schreiben aufgeben? Ich tue es. Der Dialog des Schreibens ist ein Dialog des Schweigens. Die Zeit des Schreibens ist eine Zeit der Absenz. Der Ort des Schreibens ist ein Nicht-Ort. Worte haben kein Leben. Das Leben mag außerhalb der Worte stattfinden. Dort sind vielleicht die anderen Menschen, auch ich. Auf der Deponie des Wortes, abseits des Textes. Schreiben heißt Absenz des Lebens. Mag sein, dass wir das Leben beim Laufen finden, vielleicht beim Sitzen, unter einem Baum oder auf dem Asphalt. Vielleicht kommt es aus Versehen, bei einem Kuss oder durch eine Gewehrkugel, – aber nicht durchs Schreiben.
Ich spritze auf meine Kleider Gift gegen Worte, renne los und suche besessen nach dem Leben. Worte vergiften ist der richtige Weg. Der Tod der Worte ist das erste Wort des Lebens, sein erstes Lispeln. Was da aus meinem Munde kommt, es bringt mich um! Ein Mord, der nicht allein heimtückisch mit dem Dolch ausgeführt wird, sondern mit einem Schwert des Auslöschens. Ein Schuss von heller Oberfläche ins Tief undurchsichtiger Illusion. Feuersbrunst im Herz und in den Organen, Zerstreuung aller Gelenke. Auf Wolken gehen, als Regenschauer herabfallen.
Ins Zimmer des Todes treten, während das Leben auf den Straßen spielt. Es war eine lange Jagd, doch war ich nur ein Dompteur für Wörterseelen. Alles Geschriebene ist wie scheue Tauben, die dem davonfliegen, der sie zu zähmen versucht. Ein Trugbild, das einen Weg vor uns hinbreitet. Ein Weg ohne Horizont und ohne Behausungen zu beiden Seiten, nur Galgenstricke reicht er den Reisenden hin. Warum muss ich an diesen Stricken hängen, nicht tot und nicht lebendig, nur weil das Seil mich Mageren nicht zu töten vermag? Warum soll ich Ungenießbarer Beute für etwas werden, dem es nicht zusteht, ein Bankett zu geben? Aufgehängt an einem Seil, aufgehängt an einem Papier, in Erwartung eines Lebens, das aus den Ritzen der Wörter hervorquellen soll. Mir ist kein Schriftsteller bekannt, der hier das Leben gefunden haben mag.
Ich kenne solche, die über Buchstaben gestorben sind, über Satzzeichen, oder über dem Papierrand. Was erwarte ich von Worten? Mein Papier soll lieber weiß bleiben. Eine eingebildete Suche nach eingebildetem Leben ist das Schreiben. Es stimmt nicht, dass man mit geschriebenen Worten etwas Absentes herbei holen kann. Nicht tot und nicht lebendig. Es stimmt nicht, was ich in meiner lang währenden Illusion immer angenommen hatte. Absenz ist ein Nichts, und Tod ist ein Nichts; beide lassen sich nicht evozieren. Wir selbst werden absent, wir selbst werden Tod auf dieser Reise von Schein und Illusion. Schreiben ist ein Äquivalent für den Tod. Ich war der Meinung, ich könnte aus Phantasie etwas errichten. Ich dachte, die Vorstellung mache aus der Phantasie etwas Anfassbares, und dass Wörter ein Haus bauen könnten, in dem ich mich aufhalten, das ich nicht nur anschauen kann. Zu lange bewegte ich mich in der Phantasie der Sprache, so dass ich schließlich an der Illusion zerbrach.
In der Sprache suchte ich meine Heimat, bis ich bemerkte, dass ich nach einer Illusion suche. Und weil die Sprache meine Heimat war, wohnte ich folglich in der Absenz. In Wahrheit verscheuchte ich nur die Seelen der Wörter, die aus meinem Mund und meiner Seele kamen. Sie verschwanden in der Ferne. Ich erinnere mich nur noch an ihren letzten flüchtigen Punkt am Horizont. Ich erinnere mich auch an Augen, die plötzlich aus ihnen hervortraten und sich vorwurfsvoll nach mir umblickten und dann schnell verloschen. Ich erinnere mich an Federn, die in Schüssen zerstieben und andere, die zur Flucht ansetzten, oder an eine dünne Linie im weiten Raum, die ihr fluchtartiges Verschwinden nachzeichnete und die sich in einem Augenblick auflöste. Ich habe lediglich erfolglos die Seelen der Wörter verscheucht. Für Wörter gibt es keinen Platz.
Wörter sind ein Zustand der Absenz. Ein Zustand der Unmöglichkeit. Sie kommen wie ein Schatten und gehen wie ein Schatten. Sie haben kein Gesicht, keine Gestalt und keinen Ort. Schatten, Schatten, und hinterlassen keine Spur. Viele Worte, aber etwas zu sagen ist unmöglich. Ein Schatten, der hin und wieder vorbei streift, der immer vorbei streift, aber er gehört niemandem. Er gehört nirgends hin, hat keinen festen Weg und spricht nicht zu denen, denen er begegnet. Worte sind Verrat am Ort.
Und der Ort ist Verrat an den Worten. Ich sollte jetzt gehen. Ich habe nichts zu sagen und habe keinen Ort. Ich war ein Schatten. Ich war Worte und war Verrat.
Ich sollte gehen.