Aus dem Arabischen von: Leila Chammaa
  Helllichter Tag
   Ein Tag, kurz vor dem Erwachen
Ein Tag, kurz vor dem Erwachen
die Sonne geleitet einen frischen Morgen
Menschen, die all jene Brücken errichtet haben,
sehen müde aus und alt von der vielen Arbeit.
Ein neuer Tag erwacht, 
so erholt und strahlend,
dass eine Sonne kaum auszureichen scheint.
  Körperfetzen
  Unmöglich zu beschreiben
das Bild eines Menschen, der seine Körperfetzen aufsammelt 
vom Balkon
zwischen Petersilienpflanzen 
und strömender Lava,
die sich ergießt
uneingedämmt, ohne Ziel und völlig sinnlos.
  Hilferuf
  Schreie
es sind die Wurzeln der Bäume, 
die im Verborgenen nach Wasser rufen.
Aber wer nimmt sie noch wahr
außer dem Wasser?
Und wer sorgt dafür, 
dass der Lebenssaft in die Zweige gelangt?
Schreie, die das Herz ergreifen,
einen um den Verstand bringen.
  Ausbruch
  Von einer Insel musst du stammen,
um zu spüren, wie bedrückend es ist, 
wenn das Meer sich von deinem Wohnort entfernt.
Ein wenig vergehen musst du in geduldigem Warten,
damit dir der Aufenthalt in der Ferne nicht zur Verbannung wird,
während die heimatliche Insel dich vor Angriffen schützt
aber auch zu Reise und Abenteuer verlockt,
ohne dich je zu vergessen.
Auf dass du hinausziehst,
zum Ausbruch bereit.
  Die Weisheit der Bäume
  Blau sind die Bäume vor Kälte
und schwer beladen mit Warten und Erkenntnis.
Die Weisheit sprach zu ihm
legte ihm das Alphabet der Schlaflosigkeit ans Herz 
und ermahnte ihn, 
nicht unter blau wogenden Bäumen entlangzugehen, wenn sie weinen.
Die Weisheit sprach zu ihm
schenkte ihm die Ausdruckskraft der Farben,
während er
in einen Mantel gehüllt,
die Spuren des Wassers von Schlamm befreite
und mit gebeugtem Rücken sein tägliches Brot schleppend, 
gegen den Zorn ankämpfte.
Veränderungen führten seine Hand an die Quelle
tauchten seine Wimpern in Licht.
Die Bäume, nun selbst Geiseln der Veränderung,
verfärben sich gelb vor Eifersucht
und rot vor grenzenloser Offenheit.
  Keiner ist wie wir
  Kein Volk prahlt mit seinen
Verlusten 
Niederlagen 
und Opfern
so sehr wie wir 
derart unüberlegt, und ohne das Geringste daraus zu lernen.
Kein Volk 
gehorcht seinen tyrannischen Herrschern 
ehrt seine Henker
und ruft die Hölle um Beistand 
so sehr wie wir.
Wir wechseln die Seiten
stellen uns meisterhaft selbst Fallen 
schüren kräftig den Ofen, 
bis die Nägel glühen,
die uns im Fleisch stecken und vordringen zu Mark und Bein.
Für jede Peitsche ziehen wir eine neue Haut über 
wir flehen die Klinge an, ja nicht nachzugeben
klammern uns an sie mit unseren Wunden 
und nachts studieren wir unsere Bestimmung ein
angeleitet von den Schriften.
Der Herrgott hat für uns Götzen erschaffen,
gegossen in Krügen und Karaffen. 
Totems, die schwer auf der Seele lasten,
schmelzen uns, gefangen in einem Berg von Stahl.
Götter, die ohne Groll und Hass ihr Spiel treiben,
sperren uns in einen Raum zum Blitz,
schlagen dann die Tür zu
und vergessen uns.
  Der Erkenntnis auf den Grund
  Dichten Nebelschwaden entspringt ein Stern 
halb dunkel
halb unscheinbar leuchtend
rieselt von ihm Staub, 
der sich auf Baum und Haus legt.
Ein Stern lauter als der Widerhall
hört nur sich selbst auf seiner Bahn 
der Erkenntnis auf den Grund
doch nichts als fehlerhafte Materie findet er vor.
  Die Vergangenheit
  Sie gibt unseren Gedichten den Takt vor
sie, die Vergangenheit, 
zerrieben im stählernen Räderwerk.
Auf ihr haben wir errichtet 
unser schwerfälliges Dasein 
voll übler Verleumdungen.
Mit ihrem grausamen Vermächtnis 
haben wir uns häuslich eingerichtet 
in unserer Hölle. 
In blinder Begeisterung zu ihr haben wir unsere Jünger getäuscht. 
Sie, die Vergangenheit, beherrscht uns 
bestimmt die Regeln von Satz und Wort
geht heimliche Bündnisse mit der Sprache ein, 
sobald wir unaufmerksam sind.
Die Vergangenheit tritt in Erscheinung, 
stirbt 
und wird Zukunft.